Grenzen dominieren unseren Alltag. Manchmal überwinden wir sie, manchmal trauen wir uns nicht, und manchmal werden unsere Grenzen von anderen Menschen überschritten. Dieses Thema behandelt das immersive Theaterstück “Grenzen” von Kira Carstensen. Sie studiert Szenographie an der Muthesius-Kunsthochschule und hat ihr Stück im Flandernbunker aufgeführt.
Überall in unserem Alltag stoßen wir auf Grenzen. Nicht nur zwischen Bulgarien und seinen Nachbarländern, sondern auch im Zwischenmenschlichen und im Raum. Manchmal entscheiden wir uns dazu, die Grenze zu überschreiten. Manchmal sehen wir sie und gehen bewusst nicht darüber. Und manchmal werden unsere eigenen Grenzen von anderen Menschen überschritten.
Um all diese Grenzen, um all die Nähe und Distanz, dreht sich das immersive Theaterstück „Grenzen“ von Kira Carstensen. Sie studiert Szenographie an der Muthesius Kunsthochschule und ist manchen vielleicht auch als Kaputtmacht von der Kieler Band tårer bekannt. Für ihre Bachelorarbeit entwickelte sie das immersive Theaterstück. Immersiv, das heißt, dass die Grenzen zwischen Bühne und Publikum verschmelzen. Das passt natürlich auch gut zum inhaltlichen Thema des Theaterstücks. Die besondere Theaterform hat Kira gewählt, …
„weil ich allgemein mit der Einstellung ins Leben gehe, dass alles so doll wie möglich sein kann. Doll ist immer besser als lasch. Und das immersive Theater versucht, Dich in allen Belangen eintauchen zu lassen. Emotional, intellektuell und physisch.“
Das Publikum taucht ein in einen Raum voller Grenzen. Rote Fäden durchziehen den Raum im Flandernbunker, die zehn Schauspieler*innen sitzen auf dem Boden, stehen mitten im Raum oder flechten Seemannsgarn. Bis auf eine Schauspielerin sind alles Laien und haben sich auf ein Flugblatt von Kira gemeldet. Für manche, war es das erste Theaterstück, in dem sie mitspielten.
Durch den immersiven Ansatz müssen sie deutlich freier spielen als im klassischen Theater und auch mal improvisieren. Und vor allem, muss sich das Publikum darauf einlassen und sich einbinden lassen.
Publikum und Schauspieler*innen kommen miteinander ins Gespräch. Damit niemand überfordert wird, haben die Besucher*innen am Eingang zwei Buttons bekommen, die sie sich an die Jacke klemmen können. Der blaue Button zeigt den Darstellenden: Sprich‘ mich an! Rot hingegen heißt: Ich schaue lieber nur zu und beobachte. Es ist eine ziemliche Gratwanderung, wie weit die Besucher*innen eingebunden werden, sagt Kira.
„Überall passieren gleichzeitig Aktionen, sodass dieses schambehaftete „Ich will aber nichts sagen“-Publikum, das einem so im klassischen Zwei-Raum-Bühnen-Theater anerzogen wurde, nicht zustandekommt.“
Und die Gäste müssen auch ihre eigenen Grenzen überwinden, um mit den Schauspieler*innen ins Gespräch zu kommen. Das Stück hat zwei Interaktionsphasen, die ein bisschen länger sein könnten, und dazwischen erzählen die Charaktere ihre Geschichten.
Die Geschichten erzählen die unterschiedlichsten Arten von Grenzen. Wie sie überschritten werden – oder manchmal eben auch nicht. Das Theaterstück sei dabei gleichzeitig ein Kunstwerk und ein Sprachrohr, sagt Kira. Denn die Geschichten basieren auf Menschen aus ihrem Umfeld.
„Ich habe rumgefragt, ob die Leute mir etwas über ihre persönlichen Grenzgeschichten und -erfahrungen aufschreiben wollen. Ich habe zum Beispiel ein Interview mit einem Bekannten von mir geführt, der aus Aleppo geflüchtet ist. Das sind alles Szenen, die so passiert sind. Aus diesen Erfahrungsberichten habe ich dann die Figuren entwickelt.“
Das Theaterstück wird so also zu einer Art Therapie. Weil vorher jemand zu weit ging
Rot, die Warnfarbe. Rot, die Linie, die überschritten wird. Und Rot ist der Faden, der sich durch den Raum im Flandernbunker spannt. Rund 20 Kilometer Wolle hat Kira für das Stück verarbeitet. Und die Fäden werden durchbrochen, manchmal auch nur umgangen, und manchmal, traut man sich nicht hindurch.
Die unendliche Verfügbarkeit von allem gibt uns Freiheit. So scheint es. Und doch prägen Grenzen unseren Alltag, weil der Raum eben doch gegenwärtig ist.
„Nicht alle, aber viele Grenzen, sind von uns gemacht. Und sie kommen einem trotzdem wahnsinnig unüberwindbar vor. Das fängt bei Regeln an, die wir uns selbst setzen und endet beim Gesetz. Das ist alles ein Konstrukt. Das habe ich versucht, in der Verräumlichung mit dem roten Faden umzusetzen. Eigentlich ist es nur ein Wollfaden, der völlig überwindbar ist. Aber sobald da drei Fäden sind, geht das Publikum nicht mehr durch. Und total spannend ist auch, dass eine Grenze auch gleichzeitig eine Brücke ist. Das ist ja total paradox: Überall wo Schluss ist, ist auch ein neues Element zu etwas anderem.“