Kulturtankstelle (08.02.21): Musik von jenseits des Kanals (12)

Neuerscheinungen aus London von Black Country, New Road und von Puma Blue.  Außerdem wurde Bov Bjergs Roman Serpentinen und der Dokumentarfilm Weit. Die Geschichte vom Weg um die Welt. besprochen.

*** Black Country, New Road – For The First Time ***

Black Country, New Road wird gerade in den vielen Feuilleton-Seiten der deutschen Tages- und Wochenzeitungen gefeiert, aber auch im Internet, bei Musikportalen, um den Globus, und natürlich auch in England, woher die Band kommt. Ein bisschen neugierig darf man da schon werden, ob da wirklich was dran ist, an dieser Band, die angeblich aus der Provinz um Camebridge kommt, ob ihr Debütalbum „For The First Time“, was ein passender Name, wirklich so stark und einsam daherkommt.

Black Country, New Road, ist ein Septett, bestehend aus Klavier, Schlagzeug, Gitarren, Vocals, Bass, Saxophon und Violine. Die Hälfte, wie auch immer das bei sieben gehen soll, hat eine musikalische Ausbildung hinter sich, der Rest hat sich die Instrumente selbst beigebracht.

Foto: Black Country, New Road

Das Debütalbum wurde im März letzten Jahres live im Studio eingespielt. Um den Sound zu behalten, den sie raus auf die Bühnen tragen wollen. „For The First Time“ startet mit einem wilden Intro, mit wildem Saxophon, das im Laufe des Albums für Balkan-Folklore sorgen wird. Nach dem Instrumental-Intro erklingt die raue, irgendwie zerbrechliche aber auch wütende Stimme von Sänger Isaac Wood. Er redet so vor sich hin, mal fängt er kurz an zu singen, dann redet er wieder, mal fehlen ihm die Worte. Die Songs steigern sich rein, brechen wie Wellen, die am Strand auflaufen, nur um dann gleich wieder einen neuen Anlauf zu nehmen. Neue Wellen bringen eine neue Energie, jede Welle ist anders. Und ein Titel umfasst meist gleich dutzende Wellen, die lyrischen Zeilen verschwimmen dann mit der Musik, die irgendwo zwischen Post-Rock unterwegs ist und immer mal wieder von jazzigen Einflüssen unterspült wird. Das lyrische Ich wird umhergewirbelt, unterwegs zwischen Nähe, Zweifeln, Wut, Ignoranz. Und der ganze wilde Wirbel dreht sich um eine Person, die diese Sogwirkung anscheinend verursacht.

Insgesamt sechs Titel hat das Album. Ja, richtig gehört. Sechs. Trotzdem keine EP, denn die Songs brechen – wenn nur die Länge betrachtet wird – alle Vorgaben. Die Platte läuft am Ende über 40 Minuten. Sechs Titel stehen symbolisch für das Debütalbum von Black Country, New Road. Es ist textlich, vor allem musikalisch, aber noch mehr im Gesamtauftritt frei von jeglichen Zwängen, Vorgaben und Konventionen. Aus den Ideen für einen Song könnten auch drei Tracks entstehen, aber sie packen alles zusammen, sie machen ein Album daraus, weil sie es können. Weil Black Country, New Road auf die vorgegeben, aber nicht niedergeschriebenen Gesetze der Musikwirtschaft pfeifen, weil sie anscheinend den Knall nicht gehört haben. Das macht das Album so außergewöhnlich. Und von populärer Musik im klassischen musikwirtschaftlichen Sinne sind Black Country, New Road mit ihrem Debütalbum „For The First Time“ meilenweit entfernt.

Das Debütalbum „For The First Time” von Black Country, New Road erschien am 05. Februar bei Ninja Tune.

 

*** Puma Blue – In Praise Of Shadows ***

Aus London kommt Jacob Allen, besser bekannt als „Puma Blue“. Der 25-jährige Songwriter und Produzent hat in der letzten Woche sein Debüt-Album veröffentlicht. „In Praise Of Shadows“ heißt der ruhige Langspieler, der gut zur Nacht passt.

Jacob Allen wollte eigentlich nie als Songwriter unterwegs sein, er hat sich eher als Drummer in einer Band gesehen. Aber irgendwann konnte er nachts nicht mehr schlafen. Statt im Bett zu liegen, hörte er dann Musik und schrieb dazu ein paar Zeilen. In den schlaflosen Nächten, wenn die Gedanken ihn einholten, half ihm die Musik weiter. Allen sagt dazu: “It turned out to be pretty useful: there are pretty big revelations to discover about yourself at four in the morning.”

Jacob Allen aka. Puma Blue / Foto: Netti Hurley

Er fing dann irgendwann an, im Süden von London kleine Sessions mit Freunden zu organisieren, bei denen er seine Songs spielte. Einfach, damit seine Zeilen gehört werden. 2017 brachte Allen schließlich seine erste Single raus, es folgten zwei weitere EP’s, eine Tour um den ganzen Globus und ein Live-Album. Alles unter dem Namen „Puma Blue“. Warum Blue? Weil die Farbe Blau für Traurigkeit steht.

In den letzten Jahren, in denen er so viel unterwegs war, schrieb er an seinem Debüt-Album. „In Praise Of Shadows“ entstand in London, Atlanta, Cafés, Hotelzimmern und im Flugzeug. Zum Aufnehmen kehrte er nach Hause zurück und nahm die Platte in seinem Studio selbst auf. Herausgekommen ist ein intimes Album, in dem „Puma Blue“ in einem Traumland unterwegs ist, irgendwo zwischen unerwiderter Liebe, innerer Zerrissenheit, aber auch innerem Frieden. Jacob Allen sagt, dass er es mag, wenn Musiker Nähe zulassen, wenn sie von ihrer Zerrissenheit sprechen. Er sagt dazu: „The music I like is really personal. I love it when an artist can open their soul a bit and let you wander around in there. So I try to be just as vulnerable.”

Genau diese Nähe und Verletzlichkeit hat Allen mit seinem Debüt-Album geschaffen. Wer sich „In Praise Of Shadows“ von Puma Blue anhört, ist in vollkommener Trance unterwegs. Es soll all jenen Menschen weiterhelfen, die mal wieder schlaflose Nächte haben.

 

Hier geht’s zur Sendung bei Mixcloud.

Tracklist:

Interpret:in Titel
Motorama Sailor’s Song
Ralph McTell Streets Of London
Tocotronic Jenseits des Kanals
Boundaries Mirror’s Image
Schreng Schreng & La La Alukappenspakken
Swutscher Drahtesel
The Streets Wouldn’t Have It Any Other Way
Der Frühling Hauptsache zu spät
Emely Hedel Husky
Black Country, New Road Athens, France
Black Country, New Road Track X
Black Sea Dahu In Case I Fall For You
The Düsseldorf Düsterboys Parties
Crystal Glass Don’t
Puma Blue Already Falling
Puma Blue It Is Because
Puma Blue Opiate
Tocotronic Ich Möchte Irgendwas Für Dich Sein
Tiflis Transit May
Pauls Jets Blizzard
Cigarettes After Sex Opera House
Balthazar Any Suggestion

 

Aus dem tiefen Süden im hohen Norden gelandet, moderiert Moritz mittwochs die Kulturtankstelle beim Campusradio Kiel. Tiefenentspannt, ohne Schuhe, mit guter Musik und einem kühlen Pils.